Es ist auch erstaunlich, wie hoch emotional besetzt das Thema Standortwahl bei den Unternehmen ist. Man findet immer wieder Entscheidungsträger im Unternehmen die sagen " nicht in die ... Regionen " oder " Italien bloß nicht ". Wenn man dann genauer nachfragt, zeigt sich, daß es sich hierbei um Vorurteile handelt gegenüber bestimmten Regionen oder Städten, die häufig auch nicht näher begründet werden können und die oft auf „Hörensagen" beruhen. ...
Ich sollte beispielsweise einmal die Ansiedlung eines größeren Betriebes bzw. die Gründung eines Zweigwerkes im Ausland prüfen und begleiten. Hierbei wollte ein mittelständisches Unternehmen mit insgesamt mehreren tausend Beschäftigten in verschiedenen Werken aus Gründen der Kapazitätserweiterung und der Erschließung neuer Märkte ein neues Werk im europäischen Ausland aufbauen. Die Geschäftsführung stellte die Pläne dazu einem kleinen erweiterten Kreis wie Eigentümern und Banken vor. Die Planungen zur Kapazitätserweiterung, zur Erschließung neuer Märkte und zum Bau eines weiteren Zweigwerkes wurden positiv aufgenommen und für richtig befunden. Als die Geschäftsführung erwähnte, daß sie bereits mit regionalen Vertretern in einem EU-Land Gespräche über die Ansiedlung geführt hatte, kam es bei der Nennung der Region zum Eklat. Es stellte sich heraus, daß das Familienoberhaupt, das den Vorsitz im Aufsichtsrat hielt, vor weit über 30 Jahren einmal persönlich schlechte Erfahrungen in diesem Land und wahrscheinlich in dieser Region gemacht hat. Daraufhin mußte die gesamte Planung gestoppt werden. Das heißt, es wurde nicht nur die Ansiedlung in dieser Region oder in diesem Land gestoppt, es mußte die gesamte Planung für den Bau eines Zweigbetriebes eingestellt werden.
Natürlich haben Emotionen bei der Standortwahl ihren Platz und ihre Berechtigung. Die Frage ist jedoch, an welcher Stelle des Entscheidungsprozesses diese Emotionen oder das vielgepriesene „Bauchgefühl" zum Einsatz kommen. In der Regel beschränkt sich das Potential an zur Auswahl stehenden Standorten zunächst nicht auf wenige Standorte, sondern auf eine sehr große Zahl, z.B. Städte ab 10.000 Einwohner in Deutschland, Gemeinden in Norddeutschland, sämtliche EU-Regionen in Westeuropa, Metropolregionen in Europa.
Im ersten Schritt des Standortfindungsprozesses muß diese große Zahl an potentiellen Standorten reduziert werden auf wenige Standortalternativen, die alle für das Unternehmen gut geeignet sind. In diese Makrostandortanalyse sollten möglichst nur harte Faktoren einfließen. Im zweiten Schritt, der Mikrostandortanalyse, das heißt der genauen Untersuchung der relativ wenigen Standorte, die die Makroanalyse empfiehlt, können auch qualitative und subjektive Einflußfaktoren zum Einsatz kommen.
Das Problem subjektiver oder emotionaler Faktoren ist, daß das Analyseergebnis in der Regel nicht zeigt, welchen Einfluß diese Faktoren auf das Ergebnis haben. Jedes Bauchgefühl, jede Emotion, die sich im Nachhinein vielleicht als Vorurteil erweist, kann zu falschen Ergebnissen führen. Der Entscheider sollte daher immer wissen, welchen Anteil diese Faktoren bei der Entscheidung haben. Nur wenn der Entscheider die möglicherweise falsch eingeschätzten subjektiven Faktoren und ihren Einfluß auf das Ergebnis der Standortsuche kennt, kann er in einer möglichen Krise hier auch einen Hebel zum Gegensteuern finden. Wenn diese Faktoren erst bei der Mikroanalyse Eingang finden, ist gewährleistet, daß von den Fakten her auf jeden Fall ein geeigneter Standort gewählt wurde. Die Mikroanalyse empfiehlt dann den optimalen Standort. Die Verhältnisse an den für eine Mikroanalyse anstehenden alternativen Standorten sind normalerweise auch so unterschiedlich, daß dabei ausreichend Raum ist für subjektive Einflüsse und Emotionen bleibt.
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